Der nervtote Zahn
Von Karlheinz Graf
Wie gesundheitlich sinnvoll ist es, jeden zerstörten Zahn mit allen Mitteln zu erhalten?
Der Trend zur Zahnerhaltung hat sich in den letzten Jahren durch neue Behandlungsmethoden, innovative Arbeitstechniken und verbesserte Materialien deutlich weiterentwickelt und kann somit auf einen enormen Zuwachs an Know-how verweisen. So gibt es, dem Trend aus den USA folgend, auch in Deutschland eine immer größere Gruppe von Spezialisten, die mit Hilfe von Operationsmikroskopen, Ultraschall, verschiedensten Aufbereitungsinstrumenten und Wurzelfüllmaterialien, in einer Reihe von Begleitbehandlungen und konservierenden oder prothetischen Maßnahmen heute Zähne wiederherstellen und erhalten können, die noch vor einigen Jahren der Zange zum Opfer gefallen wären.
Ziel einer jeden Wurzelbehandlung ist, die Wurzelkanäle des erkrankten Zahnes zu reinigen, sie dann mit einem Füllstoff zu versiegeln, die Entstehung schmerzhafter Entzündungen zu verhindern und das Überleben des Zahnes auf längere Sicht hin zu gewährleisten.
Waren früher Wurzelbehandlungen durch die mitunter sehr unangenehmen und aufwändigen Therapiemethoden eher verpönt, so ist die Endodontie heute auf Grund moderner Konzepte in der Lage, Zähne deutlich länger zu erhalten.
Da nach Meinung der Patienten kein noch so verträglicher Zahnersatz so gut sein kann wie die eigenen Zähne, messen immer mehr Patienten dem Erhalt der eigenen Zähne auch einen besonderen Stellenwert bei. Prinzipiell ist der Trend zu einer höheren Gewichtung der Zahnerhaltung sicherlich zu begrüßen. Gerade bei wurzelbehandelten Zähnen sollte man als Patient und insbesondere als Therapeut jedoch eine sorgfältige gesundheitliche Risiko/Nutzen Abwägung betreiben, denn nicht alles, was heute machbar ist, ist für jeden Patienten sinnvoll.
Jeder Zahn ist im Versorgungssystem des Organismus integriert. In einem feinen, stark verzweigten Kanalsystem im Innern eines jeden Zahnes laufen kleinste Blutgefäße zur Ernährung des Zahnes und zum Abtransport von Stoffwechselschlacken aus dem Zahn, sowie ein stark verzweigtes Nervengeflecht zur Reizübertragung. Auf Grund von mechanischen (Stoß, Schlag, Traumen etc.), thermischen (z. B. Überhitzung durch zahnärztliche Schnellläufer), bakteriellen (durch tiefe Karies) oder chemischen Reizen (tiefe Kunststoff-/Amalgamfüllungen, Füllungs-Kleber etc.) kann es zur Erkrankung des Zahnmarks (Zahnpulpa) im Wurzelkanalsystem kommen.
Das Erkrankungsspektrum reicht dabei von einer chronisch entzündlichen Form der Zahnpulpa mit einem eher unterschwelligen und geringgradigen Beschwerdebild bis hin zu einer massiven Entzündung mit heftigsten Schmerzen. Jede Entzündung endet aber früher oder später in einem Absterben der Zahnpulpa mit anschließendem nekrotischem Zerfall des Zahnmarks.
Wurzelkanalaufbereitung und -reinigung
Entweder im hochakuten, höchst schmerzhaften Stadium oder spätestens nach dem Absterben der Zahnpulpa versucht der Zahnarzt das Wurzelkanalsystem aufzubereiten, zu säubern und zu desinfizieren. Je nachdem ob ein einwurzeliger Zahn mit gerader Wurzel oder ein mehrwurzeliger Zahn mit mehr oder minder gekrümmten Wurzeln behandelt werden soll und ob der Zahn im vorderen, gut zugänglichen Mundbereich oder mehr im hinteren Backenzahnbereich steht, ist dieser mechanische Vorgang verschieden schwierig. Insbesondere Backenzähne haben auch eine sehr variable Wurzelanzahl, so dass manchmal schon rein anatomisch nicht alle Kanäle erfasst und sauber aufbereitet werden können. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich „das Versorgungssystem der Zahnkanälchen durch den gesamten Zahn zieht, im Wurzelbereich höchst verzweigt ist und auch im Kronenbereich mit eine Fülle feinster Bahnen durch das Zahnbein verläuft.
Selbst bei noch so sorgfältiger Aufbereitung der Wurzelkanäle können diese so genannten Ramifikationen nicht erfasst und mechanisch gereinigt werden. Dort verbleiben Reste der ehemaligen Zahnpulpa, werden durch den Nekrotisierungsvorgang zu toxischen Polypeptiden wie Mercaptan und Thioäther abgebaut, die dann leider nicht im Zahn verbleiben, sondern frei verfügbar im Organismus Enzyme blockieren und zu immunologischen Belastungen führen. Es entstehen Karzinogene mit toxischer Belastung (über das Bindegewebe) und vegetativen Störungen (über das hormonelle System). Des Weiteren bildet der Organismus eine erhöhte Anzahl freier Radikale mit deren zerstörerischen Wirkungen auf Zellen und Zellorganellen.
Zur Reinigung der Ramifikationen wird häufig auch das System der Depotphorese angepriesen. Dabei wird das Prinzip der beschriebenen mechanochemischen Aufbereitung durch eine elektro-chemische ersetzt. In die aufbereiteten Wurzelkanäle wird eine Kupfer- Calciumhydroxid-Lösung eingebracht und über eine Wangen- und eine Wurzelkanalelektrode je nach Patient ein kontinuierlicher Stromfluss von 0,2-1,5 mA eingestellt. Die Ionen der Lösung werden somit durch den Strom auch in nicht aufbereitete Kanalabschnitte transportiert, und insbesondere durch die antibakterielle Wirkung des Kupfers, das sich dort als Depot ablagert, wird eine zusätzliche desinfizierende Wirkung erzielt.
Diese Methode ist aus folgendem Grund nicht völlig unproblematisch:
Unser Organismus benötigt Kupfer essenziell für Coenzymfunktionen. Bei einem Zuviel von Kupfer wird die sehr sensible Calcium-Kupfer-Balance gestört, und toxische Stoffwechselwirkungen (nicht nur auf Bakterien im Wurzelkanal, wo sie erwünscht sind) sind somit langfristig möglich.
Wurzelfüllmaterialien
Ist das Wurzelkanalsystem den Umständen entsprechend gesäubert, aufbereitet und desinfiziert, versucht der Zahnarzt, die Kanäle bakteriendicht zu verschließen. Dazu stehen ihm eine Reihe von Füllmaterialien zur Verfügung, denen eines gemein ist: Sie versuchen den Zahn zu erhalten, zu konservieren und zwar mit chemischen (z. B. Epoxidharzen, Trans-polyisoprene, Formalin etc.) und teils pharmazeutischen (z. B. Dexamethason, Tetrajodthymol, Jodoform, Cortisonderivate etc.) Konservierungsmitteln, die mit Füllstoffen wie Silber, Guttapercha, Titandioxid etc. versetzt sind. In der Regel sind diese Wurzelfüllpasten alle zytotoxisch, gewebereizend und in vielen Fällen sogar allergen.
Da, wie schon erwähnt, auch bei nervtoten Zähnen ein Stoffaustausch zwischen innen und außen stattfindet, sind die Inhaltsstoffe der Wurzelfüllmaterialien sowie die Eiweißzerfallsprodukte aus der ehemaligen Zahnpulpa und auch sich dort befindliche Bakterien und deren Toxine obligatorisch als allergische und toxische Belastung in der Umgebung eines wurzelbehandelten Zahnes, aber auch in unserem gesamten Organismus, insbesondere in unseren Entgiftungsorganen, zu finden.
Nervtote Zähne sind deshalb für den Organismus auf struktureller und chemischer Ebene immer belastend.
Auf diese Weise kann das System der Körper-Eigenregulation teils massiv gestört werden, so dass devitale Zähne für Systemerkrankungen im Organismus wie z. B. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, rezidivierende Migräne, Fibromyalgie, chronisches Schmerzsyndrom oder auch chronisches Müdigkeitssyndrom mit verantwortlich sein können.
Im weitesten Sinn kann damit ein nervtoter Zahn wie ein umweltmedizinisches Problem mit höchst verschiedenartiger Symptomatik wirken.
Jedes Wurzelfüllmaterial kann ferner erwiesenermaßen (Stortebecker) vom Organismus am Trigeminus-Nerv entlang in das Gehirn transportiert werden, sich dort ablagern und die körpereigenen Steuerungsmechanismen irritieren. Das gilt sowohl für Gifte chemischer als auch bakterieller Art.
Bakterienbelastung
Es wurde bewiesen, dass wurzelbehandelte Zähne immer infiziert bleiben, egal wie gut sie röntgenologisch aussehen. 1976 hat Sundquist 88 verschiedene Bakterien aus 32 erkrankten Wurzelkanälen isoliert. Davon waren 83 Stämme anaerob. Er wies nach, dass die bakteroide Spezies die Fähigkeit besitzt, den Immun-Mechanismus des Körpers durch Blockade der chemotaktischen Rezeptoren an den polymorphkernigen Leukozyten zu umgehen. Große Mengen des Tumornekrosefaktors (TNF) wurden an allen devitalen Wurzeln gefunden, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf Entzündungsprozesse jeglicher Art zur Folge hat.
Das abgestorbene Gewebe des nervtoten Zahnes bietet die klassischen Voraussetzungen zur Entwicklung eines chronischen Störherdes. Die Blutzirkulation und damit die Möglichkeit des Abtransportes und Abbaus von Toxinen ist praktisch unmöglich. Toxine bleiben in diesen Bezirken somit lange erhalten. So können sich auch Bakterien in Depotform (sog. „slow-bacterias“) wie z. B. die Siphanosporen vermehren. Eine Bakterienbesiedlung an allen nervtoten Zähnen mit oder ohne Wurzelbehandlung ist obligat und bewiesen. Während nervtote Zähne zu 100 % einen Bakterienbefall mit verschieden hoher Besiedelung zeigen, konnten sie an vitalen Zähnen nur zu 3-4 % nachgewiesen werden.
Zusammenfassung
Ein nervtoter Zahn ist für jeden Organismus ein toxisches und ein energetisches Störfeld.
Toxische Störfelder entstehen durch den Verbleib von Resten der ehemaligen Zahnpulpa, die nekrotisch in Mercaptane und Thioäther zerfallen, und durch die Inhaltsstoffe der Wurzelfüllmaterialien. Diese durchdringen den Zahn und infizieren den Organismus.
Belastend und blockierend wirken diese Toxine vor allem auf:
- die Entgiftungsorgane,
- das Gehirn und Hormonsystem und damit auf die übergeordneten Steuerungssysteme,
- das Immunsystem durch die Bildung von Entzündungsmediatoren und Karzinogenen.
Energetische Störfelder entstehen durch die:
- toxische Belastung des Systems der Proteoglykane im Bindegewebe mit belastender Wirkung auf unser System der Grundregulation
- blockierende Wirkung von Zahnstörfeldern und Zahnmaterialien auf das Steuerungssystem der Meridiane.
Ob ein Störfeld „wurzelbehandelter Zahn“ zu einem Zusammenbruch der Steuerungsmechanismen im Organismus führt und damit zur Ursache einer chronischen Erkrankung wird, hängt jedoch von einer Reihe individueller Faktoren ab, nämlich:
1. Dem Gesamtbelastungszustand
Chronische Krankheiten sind in der Regel ein Summationsproblem von Belastungen verschiedenster Art. Erst wenn unser individuelles Fass durch eine Vielzahl verschiedenster Einwirkungen so voll wird, dass es überläuft, d. h. unsere Kompensationsmechanismen überbeansprucht werden, kommt es dazu. Spätestens jetzt gilt es, das Fass zu leeren. In diesem Zusammenhang sollten auch wurzelbehandelte Zähne als Belastungsfaktor kritisch hinterfragt werden. Im Sinn einer echten Prophylaxe wäre es besser, das Fass gar nicht erst voll werden zu lassen.
2. Der individuellen Konstitution
Hierbei handelt es sich um angeborene Stärken oder auch vererbte Schwächen. Sie sind Ausdruck der angeborenen Gesamtverfassung oder, um beim Bild des Fasses zu bleiben, sie gibt das Fassungsvermögen des Fasses wieder. Je kleiner das Fass ist, umso weniger passt hinein und umso schneller läuft es über. „Konstitutionelle Schwächlinge“ sollten demnach Belastungen durch Zahn- Wurzelbehandlungen kritischer gegenüberstehen als andere.
3. Dem Zustand der Körpereigenregulation
Durch Regulationstherapien (wie z. B. Homöopathie, Bioresonanztherapie, Akupunktur etc.) ist es möglich, das Kompensationsvermögen des Organismus zu verbessern. Die somit verbesserte Eigenregulation verstärkt die individuellen Kompensationsmechanismen und vergrößert so das Fassungsvermögen des Fasses. Es ist jedoch die Frage, ob dieser Zustand über längere Zeit stabil ist.
4. Von der Stärke und Dauer der Belastung
Bei langfristiger Verweildauer eines devitalen Zahnes im Mund hat die unterschwellige toxische Belastung von kleinen und kleinsten Einzeldosen die gleiche toxische Wirkung wie die Zufuhr einer hohen Konzentration dieser Toxine in kurzer Zeit. Aus der Physik kennen wir diesbezüglich die Haber’- sche Regel, die besagt, dass das Produkt aus Konzentration (c) und Zeit (t), in der diese Konzentration zugeführt wird, konstant bleibt. c x t = konst. Das heißt: bei dauernder Zufuhr einer (unterschwelligen) toxischen Belastung (c) steigt die Giftigkeit mit der Länge der Zeiträume (t = unendlich). Eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Schadstoffen im Sinn einer Potenzierung bleiben dabei sogar noch unberücksichtigt. So ist erklärbar, warum nervtote Zähne mit der Dauer ihrer Tragezeit (umwelt)-medizinisch relevante Belastungen hervorrufen können.
Schlussbetrachtung
Es ist leider ein Faktum unserer Zeit, dass die Zahl der chronisch Kranken steigt. Chronisch krank wird in der Regel aber derjenige, dessen System der Körper-Regulation überlastet ist.
In unserer heutigen, modernen Welt sind die Zahl und vor allem auch die Gewichtung der Regulationsbelastungen ebenfalls im Steigen begriffen.
Zum vorbeugenden Gesundheitsschutz sollte deshalb die Gesamtbelastung so gering wie möglich gehalten werden.
Nicht der wurzelbehandelte Zahn an sich ist deshalb ein Gesundheitsproblem, sondern die Summe der Gesundheitsbelastungen schlechthin. Aus diesem Grund sollte jeder für sich selbst entscheiden, wie viele wurzelbehandelte Zähne der Einzelne in Bezug auf seine individuelle Gesamtbelastung und Konstitution vertragen kann und will.
Autor:
Dr. Karlheinz Graf
Zahnarzt und Heilpraktiker
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94315 Straubing
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Fax: 09421.61621